Dienstag, 6. September 2011

One Shot: Erinnerungen an eine entfernte Melodie (überarbeitete Fassung)




Erinnerungen an eine entfernte Melodie
Genre: Endzeit, Mystery, Drama
Veröffentlichung: 24.01.2010 (Original), 06.09.2011 (überarbeitete Fassung)

Ich muss zugeben das ich schon immer etwas für diese Geschichte übrig hatte. Dabei unterscheidet sie sich gar nicht so sehr von meiner aktuellen Kurzgeschichte Kirschblüten im Winter. So gesehen diente Erinnerungen an eine entfernte Melodie sogar der Ideengeber für mein neustes Werk.
Jedoch muss ich sagen das mir Erinnerungen wesentlich besser gefällt. Ich habe sie vor mehr als einem Jahr in einem Forum veröffentlicht wo der One Shot überraschend gut aufgenommen wurde. Dabei war die Originalfassung kaum lesbar. Ich habe echt gestaunt wie viele Fehler und seltsame Dialoge sich in den Text eingeschlichen haben. Daraufhin habe ich die Geschichte komplett überarbeitet. Sogar den Titel habe ich verändert (damals lautete er Vocals of a distant melody). Doch ich bin mir ganz sicher das sich immer noch viele Fehler in der Geschichte befinden. Aber die neue Fassung gefällt mir schon wesentlich besser.


Erinnerungen ist eine Geschichte über das Ende der Welt. Die Erzählung umfasst das Tagebuch des Protagonisten Alice Wonder. In dieser Geschichte befasste mich zur damaligen Zeit sehr das Thema der Existenz. Fiktion und Realität. Zwei Welten dessen Grenze anscheinend kaum voneinander trennbar sind.
Als kleine Anmerkung kann ich vielleicht noch erwähnen das ich den erwähnten Song ausgetauscht habe. Statt Somewhere over the Rainbow hört man nun den Gesang von Too much Love will Kill you. Der Song von Queen stellt eine Hilfe zur Deutung der Handlung dar. Ich bin zufrieden das ich ihn geändert habe.


Wer auch immer die Geschichte lesen mag, viel Spaß. Ich freue mich über Feedback sämtlicher Art. Und ich meine damit wirklich jedes Feedback, ob gut oder schlecht.


Damit wäre mein Blog dann wohl nun offiziell eingeweiht.
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Erinnerungen an eine entfernte Melodie
Die letzten Aufzeichnungen von Alice Wonder



Ich werde eine Geschichte schreiben, und die darf nicht mit Canis Canim beginnen.


23 Januar

Canis Canim: „Hund frisst Hund“, „Fressen und gefressen werden“, „Mensch frisst Mensch“.
Nachdem sich die Menschen gegenseitig gefressen haben, wurde dem Ganzen ein Ende gemacht. Dieser Meteor, oder besser gesagt, dieses unbekannte Objekt aus dem All schlug im Atlantik ein. Das war im Dezember. Die Erde löste sich nach dem Aufprall praktisch auf. Milliarden Menschen verloren ihr Leben. Von dem Grünen Planeten ist nichts weiter als ein Trümmerhaufen übrig geblieben. So bleibt die Frage jedoch, war dies die Erlösung für die Spezies Mensch? Oder hätte man uns noch eine Chance geben sollen? Vielleicht hätten wir uns ja gebessert wenn wir gewusst hätten was uns erwartet.

Viele Menschen dürfte es nicht mehr geben. Vielleicht fünf Millionen. Von diesen fünf Millionen werden sich ungefähr vier Millionen bereits verwandelt haben. Wir wissen nicht genau was es ist, aber was wir einst für ein Phänomen hielten passiert nun mit tausenden Menschen. Sie verwandeln sich in Biester. Hunde ähnliche Biester die so grauenhaft aussehen das wir keinen Namen für sie finden. Vor knapp Zwei Wochen haben sich die ersten Menschen in unserer Siedlung verwandelt.

Hund frisst Mensch. Sie sind gefräßig und haben weder Emotionen noch Verstand. Mein medizinisches Wissen reicht als gewöhnlicher Student (ich war im zweiten Semester als die Welt unterging) nicht aus um ihr Verhalten genau zu begutachten. Doch die Ungeheuer sind weniger unser Problem. Die können wir erschießen oder aus den Siedlungen vertreiben da diese empfindlich gegenüber Feuer sind.

Wir werden alle sterben. Das ist sicher. Unsere Nahrung, die verseucht zu sein scheint, genau wie der größte Teil unseres Wassers erschöpft allmählich. Blicke ich zwei Monate zurück, kommt mir das alles immer noch so verdammt unwirklich vor. Doch so lange ich noch nicht verhungert oder verdurstet bin werde ich schreiben. Wer weiß, vielleicht wird diese Welt irgendwann noch einmal eine Zweite Chance bekommen und eine einsame Seele findest diese Memoiren.


20 Februar

Wir sind von ehemals fünfhundert Bewohnern auf fünfzig geschrumpft. Die meisten haben sich verwandelt. Andere haben die Umstände der neuen Lebenssituation nicht überstanden. Die Biester werden schlauer und erfinderisch. Sie können nun leichter in unsere Siedlung eindringen. Daher benutzen wir nun eine halb zertrümmerte Buchhandlung und eine verlassene Schule als Wachtürme. Diese sind circa einen Kilometer voneinander entfernt und verschaffen einen genauen Überblick auf das Brachland. Die verbleibenden Überlebenden verweilen im fünf Kilometer entfernten Rathaus. Sobald die Biester kommen, können wir uns per Funk verständigen. Immerhin an Batterien mangelt es uns nicht.

Wir wechseln uns immer ab. Jeder bewacht ein Objekt zwei Tage. Vor einigen Wochen haben wir ein Gebäude noch mit zwanzig Männern bewacht. Nun bewache ich die Schule alleine. In der Buchhandlung befinden sich Leaf Treefall und Endless Liberty. Der Standort der Buchhandlung bietet nicht so eine umfangreiche Übersicht wie die Schule, daher benötigt man mindestens Zwei Leute dafür. Im Gegensatz wo ich gerade sitze, in der Aula, das oberste Stockwerk. Die Aussicht von dieser Position bietet einen perfekten Überblick auf alles was sich von Norden aus nähert.

Hier sitze ich und schwelge in Erinnerungen. Hier in dieser düsteren, unheimlichen Schule. Und draußen, da tobt ein Schneesturm. Man kann kaum etwas von der Landschaft erkennen. Aber die eisige Kälte scheint diese Biester abzuschrecken. Seit Tagen wurden wir nicht angegriffen.

Doch wie kann man sich hier nur die Zeit vertreiben? Alle zwei bis drei Stunden mache ich einen Rundgang. Bewaffnet mit einer M9 und einer Öllampe. Dabei hatte ich immer angst in der Dunkelheit. Und ich habe sie bis Heute noch. Ich fürchte mich wenn ich die verlassenen Gänge entlang gehe und dabei die einzelnen Räume durchsuche. Durchsuchen... aber nach was? Ich hätte weniger Angst davor so einer Kreatur über den Weg zu laufen als etwas abstraktem, unwirklichem zu begegnen. In Einer Stunde ist es auch schon wieder so weit.
In den Nächten fürchte ich mich besonders. Ich bin froh wenn ich zurück in der Siedlung bin.


21 Februar

Die Siedlung verständigt die Buchhandlung, die Buchhandlung verständigt die Schule und umgekehrt. So haben wir es die letzten Male gemacht. Doch diesmal erhalte ich keine Nachricht. Wenn ich auch in den nächsten Tagen keine Mitteilung erhalte kann ich davon ausgehen das es nun auch die letzten aus der Siedlung erwischt hat. Aber wieso melden sich Leaf und Endless nicht? Es sind Zwei zuverlässige Männer. Die beiden kennen sich schon ewig und arbeiteten, bis zum Einschlag des Meteors, zusammen in einem Stahlwerk.

Die Aula ist völlig verlassen. Einst versammelten sich hier Kinder die den Reden des Direktors lauschten. Der Gedanke daran versetzt mich wieder in tiefe Einsamkeit.
Mir ist kalt. So warm ich auch angezogen bin, meine Knochen wollen nicht ruhig bleiben. Erstaunlich wie man in nicht einmal drei Monaten so abnehmen kann. Wenn an mir kein Fett mehr dran ist, kann ich mich noch so warm anziehen, ich könnte trotzdem erfrieren. Auch in dieser Aula.

Mein Haar ist bereits recht lang gewachsen. Ich trug meine Haare immer kurz und habe sie auch stets schneiden lassen sobald sie auch nur den kleinsten Anstand machten etwas länger zu wachsen. Es ist ebenfalls faszinierend wie schnell meine Haare wachsen. Steht mir gar nicht schlecht. Vermutlich hätte das auch Selina sehr gut gefallen.

Ich muss in Bewegung bleiben. Heute Abend ist es besonders kalt. Selbst wenn ich könnte würde ich es nicht lebend in die Siedlung zurück schaffen. Es wäre die Kälte, nicht die Biester die mich umbringen würde.

Ich schaue aus dem Fenster. Nichts als Schnee und Trümmer. Da umgibt mich plötzlich eine beinahe schön zärtliche Wärme. Woher kommt das nur? Ich gehe zurück auf meinen Platz. Der nächste Rundgang steht um Punkt 0:00 Uhr an. Nicht das ich es müsste, aber es ist irgendwie Gewohnheit geworden in den letzten Wochen. Ich merke jedoch das meine Kräfte schwinden und bekomme gerade einen Anflug der Müdigkeit zu spüren.


22 Februar

Tag drei. Immer noch keine Nachricht von Leaf oder Endless. Allmählich muss ich mich mit dem Gedanken zufrieden geben das die beiden es nicht geschafft haben. Man kann nie wissen wen es als nächsten trifft. Wir kennen ja nicht einmal die Ursache wie es zu diesen Verwandlungen kommt.

Ich habe es geschafft mit meiner Öllampe und ein paar Papierfetzen (Notenblätter die wahrscheinlich für den Musikunterricht hier in der Aula verwendet wurden), ein kleines Feuer zu machen. Es wärmt mich ein wenig. Ich versuche meine Erinnerungen zu sammeln. Und schon muss ich mich an diese seltsame Szene aus dem Cafe damals erinnern. Das war irgendwann im Sommer letzten Jahres.

Selina saß vor mir. Das war unser erstes Date. Ich schaute in ihre strahlend schönen Augen die einen schüchternen Blick in meine Richtung warfen. Ich schmachtete Selina seit der Beginn des Studiums hinterher.

Ich verbrachte gerne Zeit in diesem kleinen Cafe. Es hatte sogar Nachts über geöffnet. Doch immer wenn ich da war, war komischerweise auch dieser unheimliche ältere Herr da. Er war vielleicht Ende 50. Elegant gekleidet. Er trug immer diese große Schwarze Sonnenbrille. Er trank Kaffee. Manchmal aber auch einen Single Malt (ich schätze das es Single Malt war. Er hätte sich nie mit einem gewöhnlichen Bourbon zufrieden gegeben). Doch immer hatte er dieses Paket dabei. Es war vielmehr ein Päckchen. Er hat es so gut bewacht als befände sich darin ein unbezahlbarer Schatz. Etwas so wertvolles das er jeden der es auch nur ansah in Stücke reißen wird. Er würde demjenigen der sich dem Päckchen nähert jede einzelne Gliedmaße heraus reißen. Diesen Anschein machte es auf mich. Er war immer nur Nachts da. Nie tagsüber. Ich empfand eine Art Bewunderung für ihn. Aber dennoch hatte ich so viel Respekt vor ihm das ich ihn nicht einmal ansprach. Vielleicht war es auch Furcht.

Als ich mich mit Selina jenen Nachmittag unterhielt, umgab mich plötzlich ein Schauder. Ich sah diesen Mann auf einmal in jener Ecke wo er immer saß. Diesmal stand das Päckchen auf seinem Tisch. Es war ein weißes Päckchen. Absolut nichtssagend was sich darin hätte befinden können. Selina redete mit mir, aber ich war völlig verträumt. Dies verstärke sich als der Mann auch noch zurück schaute. Ich sah ein Grinsen. Ein unheimliches Lächeln das auf seinen Lippen lag. Galt es mir? Ich habe es nicht geschafft den Blick von ihm abzuwenden.

„ALICE“

Rief plötzlich eine Stimme. Es war Selina die mich aus meinen finsteren Gedanken zurück holte.
„Hey was ist los mit dir? Du bist auf einmal so abweisend und blass“, sagte sie zu mir und umschloss meine Hände mit ihren warmen, zierlichen Händen.

„Der Kaffee ist glaube ich zu stark“, log ich und widmete mich wieder der Frau meiner Träume.

Ich wandte den Blick ab. Doch was hätte sich wohl in diesem Päckchen befinden können? Ich ahnte nichts gutes dabei. Jedoch war Selina wichtiger. Ich habe mich wieder gefangen und wir verbrachten noch einen schönen Tag miteinander.

Im September wurden wir ein Paar. Einige meiner Freunde beneideten mich, andere haben sich jedoch auch für mich gefreut.

Im November beging Selina Selbstmord. Sie schoss sich mit einem Revolver in den Mund. In den Händen hielt sie einen seltsamen Abschiedsbrief der an mich gerichtet war.
Hast du das Ende dieser Welt bereits kommen sehen, meine geliebte Selina? Ich wette das du gerade so etwas wie Schadensfreude empfindest. Ich würde wahrscheinlich die gleichen Gefühle empfinden.

Ich kehre aus meinen Erinnerungen zurück. So viel wie in den letzten Monaten passiert ist wundert es mich das es mich wie so manch anderen aus der Siedlung nicht schon mental zerrissen hat.
Ich habe so unglaublichen Hunger. Und es kommt mir so vor, wenn ich aus dem Fenster schaue, als würde diese Welt ein weiteres Mal untergehen.

23 Februar
Meine eh schon begrenzten Rationen neigen sich dem Ende. Die halten noch, wenn ich weiterhin so sparsam bleibe, bis zum 25 Februar. Meine Rückkehr in die Siedlung. Doch da ich auch jetzt noch keine Antwort aus der Buchhandlung erhalten habe, werde ich das wohl vorerst vergessen können.

Ich höre seit Gestern Kinderstimmen. Sehr bedenklich. Die klingen so ausgelassen als würden sie sich draußen im Schnee vergnügen. Immer wenn ich sie höre spurte ich zum Fenster um zu schauen ob sie da draußen sind. Wie sie eine Schneeballschlacht veranstalten oder mit ihren Schlitten einen kleinen Hügel hinunter rodeln. Doch das einzige was ich sehe, wenn ich aus dem Fenster schaue, ist das gleiche wie in den letzten Tagen auch, die absolute Einsamkeit. Wenn ich nun einige dieser Ungeheuer sehen würde wäre das der Beweis dafür, dass ich nicht der einzige noch lebende Mensch hier bin. Die Stimmen die ich höre sind wohl bereits ein Beweis dafür, dass ich allmählich verrückt werde. Hier können keine Kinder ausgelassen spielen. Alle Kinder, wie so viele andere Menschen auch, sind verstummt als der Meteor auf die Erde einschlug. Und ich bin mir nicht einmal sicher ob es überhaupt ein Meteor war. Kein Wissenschaftler konnte noch irgendetwas analysieren. Die offiziellen Angaben sind einen Scheiß wert.

Es wird Zeit für einen neuen Rundgang. Heute mal vor 0:00 Uhr. Ich höre Geräusche die ich nicht zuordnen kann und die aus der Küche kommen. Diese liegt Zwei Stockwerke unter der Aula (die sich im Dachgeschoss befindet).

Ich durchstreife die dunklen Gänge. Egal wo ich hinsehe, da die Schule alles recht unbeschädigt überstanden hat, kommt es mir so vor als sei ich hier der Nachtwächter und es werden die Schüler sein die mich am Morgen ablösen werden. Doch dieses komische Trommeln holt mich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück.

Ich lege einen zügigen Gang ein. Die Küche liegt vor mir. Die Geräusche werden lauter. Dann verstummen sie plötzlich. Meine Hände beginnen zu schlottern. Man hört den klapprigen Griff der Öllampe. Ich ziehe den Schlüssel des Hausmeisters aus der Tasche, will die Tür aufschließen. Ich schrecke zurück, das Licht geht an. Was geht da drinnen vor sich? Ich muss mich überwinden und diese Tür nun öffnen. Vermutlich spielt mir hier lediglich meine Phantasie einen Streich.

Ich trete ein. Alles ist alles so unnatürlich hell. Hier gibt es doch nicht einmal mehr Strom. Und was ist das für ein Gestank? Brät hier jemand etwas? Ich täusche mich nicht... da steht eine Pfanne auf dem Gasherd. Ich nähere mich der Bratpfanne mit angewiderter Miene. Da sind irgendwelche Eingeweide drin. Ich möchte überhaupt nicht wissen von wem die stammen.

„Wer ist da?“, schreie ich. Ich höre eindeutig Schritte. Da ertönt plötzlich ein wimmern was vom Esszimmer stammt.Vorsichtig pirsche ich mich bis hin zum großen Tisch. Und darunter sitzt sie. Eine Frau!

Ich bleibe ein paar Schritte von ihr entfernt und frage sie nach ihrem befinden und wie sie hier reingekommen ist. Die Frage warum wir gerade Strom haben spare ich mir für einen geeigneteren Zeitpunkt auf.

„Ich wollte dir lediglich eine Freude machen mein Schatz“, schluchzt die Frau die auf dem kalten Boden sitzt. Sie scheint völlig verwirrt zu sein. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, sie hat es in ihre Hände gestützt. Außerdem kommt es mir vor das ich es auch nicht erkennen könnte wenn sie es mir zeigen würde. Als ob sie Meilen entfernt von mir weg sitzt.

„Ich habe dir leckere Hunde Innereien gemacht. Die isst du doch so gerne. Dann bekommst du endlich mal wieder ein paar Pfund auf die Rippen“.

Ich trete angeekelt zur Seite. Was sagt sie da? Hunde Eingeweide? Ich glaube ich muss gleich kotzen. Das ist so ein verdammt beißender Geruch.

Da schlägt auf einmal die Tür hinter mir zu. Ein riesiger Kerl hat das Zimmer betreten. Wie kommen die alle hier rein? Er hat anscheinend Zwei Glasaugen und kann nichts sehen. Seine unheimliche Erscheinung macht Angst. Ich sacke zu Boden.

„Nehmen sie sich einen Happen, ist ganz frisch.“

Er kommt auf mich zu.

„Verdammter Mist, oder? Wir speichern unsere schönsten Erinnerungen nun alle Digital. Doch ohne Strom sind auch alle Andenken an unsere Liebsten verloren. Aber verzagen sie nicht. Schauen sie mal her.“

Der Kerl hat eine Kette vor mir auf den Boden geworfen. Ich schnappe sie mir. Den Anhänger kann man öffnen.

Verdammt! Ich fange nun noch heftiger an zu zittern. Das ist ein Bild auf dem ich und Selina zusammen sind. Und nicht nur das! Es ist ein Familienfoto, zusammen mit... unseren Kindern? Ein Bild aus einer anderen Dimension? Selina und ich hatten keine Kinder. Wie auch. Unsere gemeinsame Zeit war dazu viel zu kurz.

„Was soll der Scheiß“, rufe ich, den Tränen nahe, durch den Raum.

Der große Kerl tritt näher zu mir.

„Wissen sie, sie sehen das alles viel zu ernst. Freuen sie sich doch über ein kleines Andenken. Die Welt hält noch so viel für sie bereit. Machen sie was draus.“

Mein Blick wendet sich zu der Frau am Boden, sie sitzt dort immer noch in der gleichen Haltung. Könnte das womöglich Selina sein? Doch je weiter ich mir ihr nähere, desto schläfriger werde ich. Ich will sie berühren. Mein Arm greift so weit er noch kann. Doch ich habe dazu keine Kraft mehr. Verliere das Bewusstsein.


23 Februar

Keine Ahnung wie lange ich weg war, aber ich habe mein Bewusstsein zurück erlangt und befinde mich nun wieder vor der Küche. Als wäre nichts passiert. Die abstrakte Szenerie von gerade war nichts weiter als eine Einbildung. Ich nehme den Geruch von Gas war. Die ganze Etage muss davon betroffen sein. Kein Wunder das es mich umgehauen hat. Ich schaue auf meine Hände die ich noch immer nicht richtig unter Kontrolle habe. Meine Finger scheinen noch etwas eingeschränkt zu sein. Eine Kette und der dazugehörige Anhänger mit dem eigenartigen Foto befindet sich jedoch nicht in meinen Händen.

Wenn es in der Küche jedoch wirklich ein Gasleck gibt, bedeutet das... ich hier auf einem Pulverfass sitze. Den Raum kann ich ebenfalls nicht betreten da mich das Gas diesmal wohl töten würde wenn ich direkt am Ort des Geschehens nachsehen würde. Das heißt, so lange ich hier keine Dummheiten mit der Öllampe anstelle, passiert mir vermutlich auch nichts. Nach solch einer Vision werde ich mich alleine aus diesen Gründen dieser Etage schon fernhalten. Dennoch macht mich das alles sehr nachdenklich. Theoretisch ist es ein wunder das ich überhaupt noch lebe. Ich kann nur hoffen, dass die anderen Etagen verschont bleiben. Zumindest so lange wie ich hier noch verweile.


24 Februar

Endlich eine Nachricht aus der Buchhandlung. Nun weiß ich endlich was los ist. Leaf Treefall berichtete mir das sein Kumpel Endless Liberty seinem Leben ein Ende bereitet hat. Auf meine Frage hin wieso er sich nicht schon Gestern oder Vorgestern gemeldet hat konnte mir Leaf keine Antwort geben. Er klang verstört und verängstigt. Anscheinend bot sich ihm ein schreckliches Bild als er seinen besten Freund tot vorfand. Zumindest hatte er sich nicht verwandelt. Lebewohl Endless Liberty.

Was den Verbleib von Leaf Treefall angeht bin ich überfragt, nach seiner Botschaft zerstörte er anscheinend das Funkgerät zerstört. So konnte ich nicht einmal fragen was in der Siedlung vor sich geht.

All das stört mich jedoch nicht. Denn zum Nachdenken bin ich mal wieder viel zu müde. Mir fallen ständig die Augen zu. Alles verschwommen. Gleich würde ich wieder einschlafen. Dies verursacht entweder das Gas, welches immer weiter zu mir dringt, oder meine körperliche Verfassung die mir immer mehr zu schaffen macht. Hauptsache Schlaf. Während ich noch etwas darüber nachdenke wie sinnlos meine Aufgabe hier eigentlich von Anfang an ist, wiegen mich erneut die Stimmen der Kinder, die sich da draußen vergnügen, in den Schlaf.


24 Februar

Etwas reißt mich aus den Träumen. Ein Gesang. Ein Gesang so unheimlich und schön das ich so wach bin wie wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr. Ich fühle mich so erfrischt und klar das ich endlich bemerke was hier überhaupt vor sich geht. Ich kauere mich in eine Ecke. Aus Angst davor das mich diese weit entfernte Stimme erreichen könnte. Entspringt auch diese Melodie meiner Einbildung? Ich sollte hier schleunigst verschwinden.

Die Melodie klingt so unglaublich traurig, als ob alle Menschen, die ihr Leben bei dem Aufprall des Meteors lassen mussten, einem Chor beigetreten sind und nun gemeinsam ein Lied anstimmen. Der Hauptgesang stammt von einer Frau. Das ist eindeutig zu hören. Ich versuche jedoch ihn zu überhören.

Ich brauche Schlaf. Lasst sie ruhig singen. So etwas wird mich nicht in den Wahnsinn treiben.


25 Februar

„Aufwachen. Mach dich bereit für das Finale“, ertönt eine tiefe Stimme die mich weckt. Es war wohl die gleiche Stimme wie auch von dem Kerl der mir in der Küche die Kette zugeworfen hat.

Ich bin wach. Meine Augen sind geöffnet. Ich befinde mich noch immer im ehemaligem Lehrerzimmer. Die Fenster sind einen Spalt geöffnet sodass zumindest noch etwas frische Luft ins Zimmer kommt. Noch etwas schläfrig schaue ich mich um. Mit mir, eine Melodie aus weiter Ferne. Nun auch noch gefolgt von einem heulen tausender Menschen. Stimmen die mich wahnsinnig werden lassen. Mir bleibt keine andere Wahl als diesen Stimmen zu folgen. Egal ob ich erfriere oder von den Biestern gefressen werde. Es ist alles egal. Weil ich entweder hier in der Schule oder letztendlich in der Siedlung sterben werde. Ich packe alles zusammen was ich habe und renne. Ich renne aus dieser verdammten Schule. Packe erstmals seit Monaten wieder meinen ganzen Mut und breche auf. Lasse alles andere hinter mir.

Ich höre die Stimmen und die Melodie aus allen Himmelsrichtungen. Ich renne wie ein verrückter durch den Schnee. Trümmer wohin ich schaue. Doch je weiter ich durch das verlassene Gebiet renne desto mehr bemerke ich es, Ich werde mich meinem Ziel niemals nähern. Ich bin fertig. Könnte sofort einschlafen.

Ich erblicke etwas weiter vor mir einen Mann. Ist das Leaf Treefall? Was tut er da nur?
Er sitzt auf dem Boden und weint. Ein fürchterliches wimmern geht von ihm aus. Doch es sind nicht die Stimmen die ich die ganze Zeit höre. Ich trete vorsichtig an ihn heran. Er ist voller Blut.

„Was machen sie hier Leaf? Kommen sie Bitte mit mir“
Er ist nur bekleidet mit einem alten Hemd und einer völlig zerfetzten Jeans Hose.

Egal wie ich auf ihn einrede, er rührt sich nicht. Ich muss jedoch den Stimmen nachgehen. Sie müssen hier einfach irgendwo sein. Die Frau mit der Melancholie in ihrer Stimme.
„Warten sie Bitte hier, Leaf, ich komme gleich wieder. Wir werden dann gemeinsam zur Siedlung zurückkehren“.

Ich kann mich nun nicht auch noch mit seiner Geschichte befassen. Wahrscheinlich würde sie mir den Letzten meiner verbleibenden Nerven rauben. Also laufe ich weiter. Doch weit und breit ist hier nichts. Ich komme den Stimmen nicht näher. Aber ich höre sie doch so deutlich. Jedoch haben mich meine Kräfte nun endgültig verlassen. Ich sacke zu Boden. Ich kann Leaf nun nicht mehr mit in die Siedlung nehmen. Nur weil ich mich aufgrund eines Hirngespinstes zu verausgabt habe. Aber die Stimmen, die nehme ich immer noch ganz deutlich war. Selbst zum weinen fehlt mir die Kraft. Ich würde so gerne weinen. Wie ist das nur alles passiert? Und wieso musste es ausgerechnet so enden? Ich verstehe diese Stimmen nicht. Sie sprechen nicht meine Sprache. Man hört, dass sie aus einer anderen Welt stammen. Und anstatt mich vor ihnen zu fürchten sollte ich doch lieber froh sein eine solch schönen Melodie noch einmal zu hören. Und ohne das ich es so wirklich bemerke während ich hier im Schnee versinke und gerade erfriere, bemerke ich die Tränen, die ich vergieße. Es sind die gleichen Tränen die auch Leaf Treefall vergießt. Denn nun verstehe ich es. Er hört die gleichen Stimmen wie ich. Er lauscht ebenfalls einer Melodie, genau wie ich.

Dies ist unser Aller Ende. Ich höre eine Person die durch den Schnee stapft. Es sind weiche, zärtliche Schritte. Und da steht sie vor mir. Ob Einbildung oder nicht. Gekleidet in einem weißen Gewand reicht mir eine wunderschöne Person ihre Hand. Sie berührt meine halb eingefrorenen Hände. Ich fühle mich wohl dabei. Ihre Hände fühlen sich so warm an.
Dann stimmt sie ein Lied an. Ich erkenne diesen Gesang der so weit entfernt war. Doch jetzt singt sie nur für mich.
Es hört sich an als singe sie
Too much love will kill you von Queen. Ich sang den Song damals beim Karaoke. Selina war amüsiert wie schief die Töne doch waren. Aber sie war glücklich. Das sah man ihr an. Aber wahrscheinlich ist das alles nur eine Illusion. Bestimmt singt sie in Wahrheit gar keinen Song von Queen. Sie bewegt vielleicht nur ihre Lippen. Alles andere ist die Interpretation einer Person die dem Tod geweiht ist.
Ich sehe nur ein verschwommenes Gesicht wenn ich zu dieser Engelsgleichen Person aufblicke. Ich frage mich welchen Song sie für Leaf sang.

Vielen Dank für diese schönen Erinnerungen. Der Gesang nähert sich seinem Ende. Und ich werde es wohl nicht zurück in die Siedlung schaffen. Doch ich verspüre gerade eine solche Wärme das mir all das völlig egal ist.
Too much love will kill you. It'll make your life a lie.


Ende


26 Juni
 
Too much love will kill you. It'll make your life a lie. Ende.

Ich hefte die Seiten in meine Mappe.

„Erinnerungen an eine entfernte Melodie“. Ein schöner Titel. Ich bin froh, dass ich die Geschichte noch beenden konnte.

Ich höre, dass meine Tür aufgeschlossen wird. Grim Reaper tritt ein. Er ist ein kräftiger Kerl. Passend für seinen Job als Gefängniswärter. Er ist der Chef des Hochsicherheitstraktes. Und man mag es ihm nicht ansehen, aber in den letzten Fünf Jahren wurde ausgerechnet er zu meinem Besten Freund.

„Besuch für dich Alice. Ihr habt 10 Minuten“, macht er mir klar. Ich werde höchstens Fünf brauchen.

Es betritt jener Mann die Tür den ich erwartet habe. Ich vernehme den Duft von
Old Spice. Wie immer elegant gekleidet und mit einer viel zu großen Sonnenbrille ausgestattet. Es ist Mac Guffin der in mein bescheidenes Reich eintritt. Er legt seinen Mantel ab und stellt vorsichtig sein Päckchen, welches er behutsam in den Händen hält, auf dem Schreibtisch ab.

„Ich hoffe ich habe den Weg hierher nicht umsonst angetreten, Alice. Du weißt, dies ist die letzte Gelegenheit wo wir uns sehen werden. Aber sei unbesorgt. Du hast dich richtig entschieden“

Ich gehe nicht auf seine Worte ein. Ich greife zur Mappe in der sich „Erinnerungen einer entfernten Melodie“ befindet und reiche sie ihm.

„Ich hoffe das die Geschichte auch da ankommen wird wo ich sie erwarte“, entgegne ich Mac Guffin.

„Mach dir darum mal keine Sorgen. Ich halte mein Wort so wie du Deines. Da du so zuvorkommend warst werde ich dir natürlich auch deinen Wunsch erfüllen. Deinen Wunsch zu sehen was sich in diesem Päckchen befindet.“

Ich grinse.

„Ich weiß bereits was sich da drin befindet Alter Mann“, mache ich ihm mit einem Lächeln klar. Er erwidert es.

„Dann ist es nun an der Zeit Lebewohl zu sagen, Alice. Ich wünsche dir weiterhin das Beste“.

Mac Guffin packt seine Sachen zusammen und verschwindet. Mein letzter Besuch.

Noch bevor die Tür zuschlägt tritt Grim Reaper ein. Er setzt sich zu mir aufs Bett.

„Es ist gleich so weit, Alice. Und ich muss ihnen sagen, alle Leute die in meinem Trakt hingerichtet wurden hatten es verdient. Da bilden sie natürlich keine Ausnahme. Jedoch muss ich sagen, um sie wird es mir leid tun. Ich kann ihre Handlungen bis Heute nicht nachvollziehen. Aber ich nehme an sie werden ihre Gründe gehabt haben. Das jemand auf eine Begnadigung verzichtet ist ebenfalls ungewöhnlich.“

„Ich Bedanke mich für alles was sie für mich getan haben Mister Reaper. Nur durch ihre Hilfe konnte ich diese Geschichte überhaupt schreiben. Doch eine Begnadigung, egal wie sie sich für mich auch eingesetzt haben, kommt bei mir überhaupt nicht in Frage. Ich möchte kein Jahr länger hier verkommen. Und ich denke das werden sie verstehen.“

Grim Reaper holt etwas aus seiner Tasche.

„Ich verstehe sie sehr gut, Alice. Für denselben Weg hat sich auch ihr Freund Leaf Treefall entschieden. Das respektiere ich. Ich habe übrigens das bekommen wonach sie mich gebeten haben. Es war nicht einfach da ran zu kommen. Nicht einmal für mich.“

Grim überreicht mir das Objekt welches er in seinen Händen hält. Ich begutachte es und vergewissere mich ob es das ist wonach ich gebeten habe. Und genau das ist es. Ich schließe die Kette fest in meine Hände. Es ist die einzige Erinnerung die mir an Selina bleibt.

„Vielen Dank, Mister Reaper“.

„Gibt es noch etwas was ich für sie tun kann? Noch ist es nicht so weit.“

„Nein, Danke. Ich habe alles was ich brauche. Bitte lassen sie mich noch etwas allein“, erkläre ich ihm.

„Wie sie wünschen“, spricht er in einem geradezu beruhigenden Tonfall zu mir und verlässt den Raum.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt wo noch einmal das ganze Leben an einem vorbei zieht. Doch ich weiß nun, dies ist lediglich eine Erfindung Hollywoods. Letztendlich habe ich doch noch alles erledigt was es zu erledigen gab. So blieb das was ich getan habe nicht völlig sinnlos. Ich werde noch einmal die Sonne sehen. Ich werde noch einmal die milde Sommerluft genießen dürfen. Nach Fünf eiskalten Wintern habe ich mir das verdient. Ich atme tief durch. Vergewissere mich ob ich nicht doch noch etwas vergessen habe. Kann jedoch aufatmen weil es nichts mehr zu erledigen gibt.

Schon bald wird Grim Reaper ein letztes mal für mich diese Tür aufschließen. Und dann wird er mich zu meinem Schafott geleiten. Und vielleicht werde ich dann endlich Selina wiedersehen. Ich lege den Stift nieder und richte mich auf. Dies ist das Ende der Geschichte.


Ende



Anhang:


Too much love will kill you


3 Kommentare:

  1. Endlich eine Seite für die Kurzgeschichten.
    Zum Einstand des neuen Blogs, werde ich auch mal kurz meinen Senf ablassen. :P

    Die Geschichte fand ich schön unheimlich. Die Endzeitstimmung kam bei mir an, ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie Alice bewaffnet mit der Öllampe durch die Gegend streift. Das hast du wunderbar geschrieben. Der Twist am Ende kam sehr unerwartet und hat mich irgendwie aus der vorherigen Stimmung herausgerissen. Aber irgendie hats dann doch noch gepasst.
    Insgesamt hats mir wieder sehr gut gefallen! Bin gespannt was noch Weiteres kommt.

    Wenn ich den grammar nazi raushängen lassen darf: Es sind einige Kommafehler drin oder zB Unterscheidungen zwischen ",dass" und ",das" fehlen. Aber das weißt du ja bereits von einem früheren Kommentar. :)

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  2. Hallo Salvo!

    Schön das es dir die Geschichte gefallen hat. Die sollte damals eigentlich an der Stelle enden wo Alice im Schnee liegt und die Melodie hört. So gesehen ist das eigentliche Ende viel mehr eine alternative Version. Wollte einfach noch einen drauf setzen was das verwirrte angeht =)

    Ja, ich werde mir nun einen kleinen Auffrischungskurs in Sachen Kommasetzung und Das/Dass holen ;O
    Es ist schlimm das mir die englische Sprache bald mehr liegt als die Deutsche. Die Geschichte sah vorher noch viel chaotischer aus ;D

    Ich hoffe sehr das sich diese kleinen Fehler dann auch endlich mal vermeiden lassen.

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  3. Moin^^
    Ich Schließ mich Salvo da mal an.
    Die Endzeitstimmung hast du richtig gut rüber gebracht. Nur in der Szene wo Alice beginnt wegzulaufen hat mir irgendwas gefehlt, ich kann es aber nicht benennen.. Die Wendung am Ende kam unerwartet, aber sie passt meiner Meinung nach. Was das grammatische angeht, wie Salvo schon schrieb, ab und zu ein falscher Begriff aber das kenne ich nur zu gut.. Ich finde auch nach dreimaligem Korrekturlesen immer noch was..
    Lg

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