Samstag, 6. Oktober 2018

Ein einmaliges Comeback: Der Mais im Argus




Über fünf Jahre ist der letzte Post her. Doch nun gibt es ein einmaliges Comeback von Typewrting. Mit "Der Mais im Argus" möchte ich einem Bier aus Spanien einen Tribut zollen. Zu dieser Geschichte habe ich mich mehr oder weniger überreden lassen, aber dennoch soll es nicht nach einer Auftragsarbeit aussehen. Genau wie einer der beiden Protagonisten in der Geschichte ein Kunstwerk erschaffen will, möchte ich mit dieser Kurzgeschichte auf die Kunst der Streaming-Dienste eingehen. Plattformen wie Twitch oder YouTube bescheren uns täglich unzählige Inhalte von unzähligen Broadcastern. Nicht jeder wird den großen Hit landen. Man muss schon etwas besonderes zeigen, um sich von der Masse abzuheben. Ich widme diese Geschichte allen Streamern, Nullsummenspiel und Thered. Habt Spaß damit!
------------------------------------------------------------------------



Der Mais im Argus



Dortmund-Scharnhorst im Jahr 2025
Freitag, 20. August



Beim sommerlichen flanieren durch unser geliebtes Maisfeld ist mir eine sonderbare Geschichte widerfahren. Obwohl nun schon einige Tage dazwischen liegen, denke ich immer wieder über diese denkwürdige Szenerie nach. Man könnte sagen, sie hat mich zutiefst verstört. Da flaniert man gemütlich durch die Gegend und muss danach um den Erhalt seines Verstands fürchten! Doch will ich nicht lange um die heiße Schokolade reden. Ich will Ihnen, werter Leser, von dieser höchst kuriosen Geschichte berichten.

Es war kurz nach 19 Uhr. Wie beschrieben schlenderte ich gemütlich, mit einem saftigen Apfel in der Hand, durch das hiesige Maisfeld. Aus nächster Nähe hörte ich ein knistern und ein euphorisches stöhnen. Ich schmunzelte in mich hinein und dachte sogleich an zwei frisch verliebte Dortmunder Teenager, die hier ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln. Ich konnte meine Neugierde nicht unterdrücken. Ich näherte mich den Lauten und spähte durch eine Reihe von Maiskolben. Die Reihe führte auf ein offenes Feld, was mir zuvor noch nicht aufgefallen ist. Obwohl ich nur einen Blick auf zwei sich liebende Teenager erhaschen wollte, bot sich mir jedoch ein absurdes Bild. Ich sah einen dürren Kerl. Blonde Haare schulterlang mit Hakennase im Gesicht. Beinahe völlig nackt und nur noch bekleidet mit einem Schlüpfer aus Batik mit einem LSD-Muster. Ein Hippie? So ein Gesindel hat in unserem schönen Ort noch gefehlt! Aber nein. Es war kein Hippie. Es war anscheinend ein Künstler. In seiner linken Hand hielt er eine Handkamera. Doch was filmte er da bloß so euphorisch? Er bemerkte nicht, dass ich ihn beobachtete. Schließlich ergab ich mich meiner Neugier. Ich musste ihn direkt ansprechen und mich um dieses „Problem“ kümmern.
„Hey, Sie da!“, rief ich mit Selbstbewusstsein. Der Mann zuckte zusammen, er erschrak anscheinend durch mein gut geöltes Organ. Er schaute zu mir rüber, verdutzt. Ich machte mich bereit, mein Anliegen direkt an ihn zu adressieren. „Ja, genau Sie! Was tun Sie da, Sie vulgärer Kerl?“
Der Mann war immer noch sichtlich verwirrt, vermutlich rechnete er nicht damit, auf frischer Tat ertappt zu werden. Er holte Luft und bereitete sich vor, mir eine Rechtfertigung für sein seltsames Verhalten zu liefern. „Sorgen Sie sich nicht, Freund. Ich bin nicht hier um Ärger zu suchen, ich erschaffe ein Kunstwerk. Wollen Sie an dieser einmaligen Gelegenheit teilhaben? Ich könnte hier noch eine helfende Hand gebrauchen.“
Während er dies sagte, griff er am Ende des Satzes beherzt seine zwei Glocken und drückte sein Gebimsel. Dachte dieser Flegel echt, ich würde ihn hier mit den Händen befriedigen? Da war er schief gewickelt. Seine unnatürlich hohe Stimme weckte jedoch mein Interesse. „Erzählen Sie mir doch erst einmal, was sie da tun. Für irgendeinen Schweinkram bin ich nicht zu haben, Freund.“. Der Mann rieb sich die Hände. „Mitnichten, werter Freund. Ich bin Twitch-Künstler und will hier ein Kunstwerk verewigen. Es wird auch Ihrer Ethik sicherlich gerecht werden, vertrauen Sie mir da bitte. Ich heiße Strauß von Unterbrühl, aber bitte nennen sie mich einfach bei meinem Twitch-Name, dieser da lautet Burberry89.“ Der Mann, den ich Burberry89 nennen sollte, erschien mir auf einmal unglaublich kompetent, glaubwürdig und nüchtern in seiner Analyse der Situation. Er wusste, er konnte vor mir nichts verbergen und spielte mit offenen Karten. Ein Mann, der mir gefiel. Aus meiner linken Hintertasche meiner Hose entnahm ich meine kleine Schatulle, öffnete sie, entnahm ein LSD Ticket und legte es mir auf die Zunge. Ich bot Burberry89 auch eines an der dankend annahm. Ich war sichtlich erregt zu wissen, was dieser Herr mir zeigen wollte. An welchem Kunstwerk arbeitete er bloß?

Burberry89 sagte mir, ich solle mich etwas gedulden weil er noch ein paar Vorbereitungen treffen müsse. Allmählich machte sich die Sonne dazu bereit, unterzugehen. Nach exakt fünfminütiger Vorbereitung kehrte Burberry89 mit seinem No-Name Camcorder zu mir zurück, seine Augen funkelten. „Meine Vorbereitungen sind abgeschlossen, Partner“. Die Zikaden zirpten, als hätten sie gewusst, dass sie Burberry89's künstliche Pause unterstützen müssen. „Ich präsentiere: Den Mais im Argus.“ Burberry89 gestikulierte mit seinen Händen und zeigte auf eine rund 1,5 Liter wuchtige Bierflasche, auf dessen Label groß „Argus“ stand. Es war ein Bembel von einer Flasche mit genug hochwertigem Inhalt, um den Durst von mindestens drei Leuten zu stillen. Beim Anblick der Flasche dürstete es mich. Neben der Flasche lag ein unreifer Maiskolben. Ich war gespannt, was nun folgen würde. Doch was folgte, sollte mich auch viele Tage später noch in meinen Träumen heimsuchen. Burberry89 kam mit der Kamera auf mich zu. „Was dagegen, wenn ich nun filme, Partner? Sei Zeuge meiner Schaffenskraft, die mich zum Streaming-Papst krönen wird!“, sagte er energisch. Ich gab mein Ok und kurz darauf fing er an zu filmen.

Man könnte sagen, mit Argusaugen beobachtete ich wachsam das Spektakel. Bis zu diesem Zeitpunkt war es noch ein lauer Sommerabend, das LSD begann allmählich zu wirken. Auch Burberry89 schien guter Dinge zu sein. Burberry89 entblätterte den Maiskolben und dokumentierte jede Handbewegung. Anschließend griff er zum eisgekühlten Bier und öffnete den Schraubverschluss der Glasflasche. Erneut wurde mein Mund wässrig, als ich die Flüssigkeit, elegant verewigt in der Flasche, bewunderte. Burberry89 filmte die Flasche in jedem Detail. In der Linken die Kamera und mit der Rechten griff er die Flasche. Dann geschah etwas unvorstellbares. Er begann, den Inhalt der Flasche zu leeren. Wie in Trance beobachtete ich seine geschickten Bewegungen, doch in dieser Sekunde schreckte ich auf. Er konnte doch nicht das wundervolle Bier verschütten! Ich hörte es sprudeln und schäumen und geifernd rief ich ihm dramatisch nach: „Was tun Sie da! Sie ungehobelter Kerl, lassen Sie das!“. Doch Burberry89 ignorierte mich. Ich hatte kein Recht dazu, sein Kunstwerk zu kritisieren. Mich umschmeichelte der süßliche Duft des verschütteten Bieres und ich wurde traurig, verfiel in eine Melancholie. Er konnte doch nicht einfach das Bier so sinnlos verschwenden. Als er ungefähr die Hälfte des Inhalts der Flasche verschüttet hatte, schraubte er den Drehverschluss wieder zu. Er blickte sich zu mir um und zwinkerte mir zu. Ich fühlte mich schlecht, ihn kritisiert zu haben. Dann nahm er sich wieder den Maiskolben vor und entnahm dem Schwengel einige Maiskörner. Er öffnete anschließend wieder die Flasche und füllte die Maiskörner in die Flasche mit Argus um. „Ein Bad für den Mais“, rief mir Burberry89 verschmitzt grinsend zu. Ich lächelte verlegen. Dann zog er sich den Batik-Schlüpfer aus und präsentierte seinen langen, völlig schlaffen und behaarten Penis. Er hing da so einsam wie ein trauriges Würstchen, was kurz davor ist, verspeist zu werden. Ich schluckte und ahnte, was er nun vor hat. Er stellte die Kamera zu Boden (die Aufnahme lief weiter) und nahm die mit Mais gefüllte Flasche in seine Linke, seinen Penis umfasste er mit der Rechten Hand. Mit einer Kopfbewegung deutete er mir zu, ich solle die Kamera nehmen und anfangen zu filmen. Perplex hechtete ich zur Kamera und nahm sie in die Hand und filmte. Wie jemand, der seinen Zeigefinger auf einen schuldigen Menschen richtet, richtete ich die Kamera auf Burberry89. Der nackte Twitch-Streamer legte nun los und schiffte in die halbvolle, mit Mais gefüllte Flasche Argus. Es spritzte aus seiner Harnröhre wie Wasser aus einem Wasserhahn, auf dem zu viel Druck ist. Der gelbe Saft verteilte sich überall, der Löwenanteil gelangte jedoch in die Flasche. Er hatte so einen Druck auf dem Rohr, dass der Inhalt der Flasche auf einmal überquoll. Zufriedenheit breitete sich in den Augen von Burberry89 aus. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden und schaute gebannt zu, während der Camcorder weiter auf ihn gerichtet war. Er fing auf einmal verrückt an zu lachen. „Mein Freund“, schrie er und hielt die nun wieder prall gefüllte Flasche gen Himmel. „Mein Freund, ich präsentiere mein Kunstwerk! Der Mais im Argus“. Mit diesen Worten setzte er den Flaschenhals an und trank das Gebräu. Es schäumte und gelber Saft tropfte von seinen dicken Blutwurst-Lippen. Er hatte unbändigen Durst. Er schien unstillbar zu sein. Dann passierte es. Bei seinen penetranten Schluckgeräuschen ließ ich den Camcorder fallen. Mein LSD-Trip entwickelte sich zu einem Horrortrip und ich rannte panisch davon. So schnell wie mich meine Beine durch das idyllische Scharnhorst tragen konnten. Ich wollte von diesem unsäglichem Kunstwerk nichts mehr sehen.

Wieder daheim angekommen, hielt ich nun immer wieder Ausschau nach einem Video auf Twitch mit dem Titel „Der Mais im Argus“. Doch weder das Video tauchte auf, noch fand ich Inhalte von einem Nutzer mit dem Name Burberry89. Während ich Ihnen diese Geschichte erzählte und mein körperlich beeinträchtigter Bruder den Briefkasten leerte, legte er mir gerade ein kleines Päckchen auf meine Kommode. Es wurde nicht per Post abgeschickt sondern persönlich in meinem Briefkasten gesteckt. Es befindet sich weder eine Adresse auf dem Paket noch ein Absender, nur ein mit schwarzem Permanent Marker verewigter Schriftzug: „Sei der Freier oder der Zuhälter“. Ich öffne verdutzt das Päckchen und darin befindet sich ein nicht beschrifteter BR-HD (Blu-ray Holo Disc) Rohling. Ein starker Geruch von Urin geht von dem Päckchen aus. Ich entnehme die BR-HD und stecke sie mit leichten Bedenken in mein Abspielgerät. Nach einer kurzen Schwarzblende erscheint ein Hologramm des Twitch-Logos. Danach folgt eine weitere Einblendung mit dem Schriftzug „Burberry89 Presents“. Eine weitere Hologramm-Einblendung wird sichtbar. Kalter Schweiß läuft mir von der Stirn. „Der Mais im Argus“ erfüllt mein Zimmer mit fetten Lettern. Es klopft an der Tür, ich halte die Holo-Datei an, das Bild verschwindet vorübergehend. Es ist erneut mein Bruder, der mir noch etwas nachreicht. Es ist etwas umfangreiches, eingewickelt in braunem Papier. Ich nicke meinem Bruder zu und bedeute ihm damit, er könne nun mein Zimmer verlassen. Der kalte Schweiß vermehrt sich auf meiner Stirn. Vorsichtig entferne ich das braune Papier und eine Flasche kommt zum Vorschein. Meine Hände zittern und ein Etikett wird sichtbar. „Argus“ steht da drauf. Der Inhalt der Flasche ist warm, er scheint noch ganz frisch zu sein. Ein noch stärkerer Geruch nach Urin entfaltet sich auf einmal und aus dem Flaschenhals tropft gelber Saft. Paranoid blicke ich auf den Inhalt der Flasche und sehe die schwimmenden Maiskörner. Ich lasse die Flasche fallen und der lose Schraubverschluss öffnet sich dabei. Der Inhalt verteilt sich auf dem Fußboden und ich kauere mich zusammen in die obere Etage des Hochbettes. Es ist ein nicht enden wollender Alptraum voll von Bier, Mais und Urin. Während ich mich verängstigt in meine Bettdecke einrolle, denke ich noch einmal an das schmackhafte, eisgekühlte Bier.


Ende