BookRix Wettbewerb Juli: "Man muss das Unmögliche versuchen um das Mögliche zu erreichen"
Wettbewerb beendet auf Rang 4.
Mein bis dato größter Erfolg bei einem Contest hat auch viel Wehmut in mir zurückgelassen. Ich wünschte mir sogar Rang 5. Denn mit einem Punkt vor Platz 3 zu scheitern ist bitter. Ein undankbarer Platz, aber ich kann mich allmählich mit ihm anfreunden.
Lange war mir nicht klar, ob ich überhaupt noch einmal die Motivation finden werde, zu schreiben. Ob ich jemals meine Anthologie, Gravitation, beenden werde. Der Wettbewerb war letztendlich eine gute Idee. Ich freue mich über das sehr wohlwollende Feedback. Dabei wusste ich nicht einmal, in welche Richtung die Geschichte verlaufen wird. Letztendlich passt Gravitation gut zu den anderen Geschichten, bin aber immer noch der Meinung, sie besitzt zu viele Ähnlichkeiten mit "Auf dem Mond sind die Erdbeben erträglicher". Auch musste ich, aufgrund der begrenzten Seitenanzahl, die Geschichte ein wenig kürzen. Normalerweise bin ich ja bekannt dafür, etwas mehr ins Detail zu gehen. Dennoch habe ich beschlossen, sie nicht weiter zu bearbeiten und mehr Inhalt hinzuzufügen.
Zeit, Gravitation als Anthologie hinter mir zu lassen und etwas neues zu starten. Ich denke, dann wird auch Jeff Buckley endlich seinen Auftritt haben. Ein wenig anders werden die neuen Geschichten aber schon werden. Aber jetzt erst einmal, viel Spaß mit Gravitation. Das Finale meiner gleichnamigen Anthologie.
Inhalt:
Großstadt-Depressionen. Eine passende Diagnose für einen Steppenwolf. Doch auch einsame Steppenwölfe brauchen Liebe. Da trifft unser Protagonist eine Frau, die seine ganze Welt durcheinander bringen wird. Und die Fähigkeit, fliegen zu können, scheint sie ebenfalls zu beherrschen.
Großstadt-Depressionen. Eine passende Diagnose für einen Steppenwolf. Doch auch einsame Steppenwölfe brauchen Liebe. Da trifft unser Protagonist eine Frau, die seine ganze Welt durcheinander bringen wird. Und die Fähigkeit, fliegen zu können, scheint sie ebenfalls zu beherrschen.
Gravitation
Ein schwereloses Großstadtmärchen
1.
Steppenwölfe sind einsam (Album Edit)
Für Teenager ist vermutlich jeder
zweite Sommer, Der Sommer ihres Lebens. Kann mich nicht daran
erinnern, so etwas jemals selbst gesagt zu haben. Warum sollte ich
das auch? Kann ich so weit in die Zukunft blicken, dass ich sagen
kann: Hey, das war eindeutig der Sommer meines Lebens. Ich habe
gesoffen wie ein Irrer, und ich habe keine Ahnung mehr, mit wie
vielen Frauen ich geschlafen habe. Aber bedenke ich, wie sehr es bei
mir im Schritt juckt, waren es bestimmt mehr als fünf. Vielleicht
bin ich mit meinen dreiundzwanzig ja auch einfach nur altklug und
gönne den Teenies ihren frühreifen Spaß nicht. Je länger Doktor
Aytekin seinen Tee vorbereitet, desto mehr verfalle ich mal wieder in
sinnlose Gedankengänge. Wie lange kann man nur einen Tee zubereiten?
Kriegt er die Extrazeit, die er mit mir verbringt, wohl auch von
meiner Krankenkasse bezahlt? Das bezweifle ich. Er ist jemand, der
tut sich das freiwillig an. Er hört sich auch nach Feierabend immer
noch die langweiligen Geschichten seiner Patienten an. Na, was solls,
ich hatte sowieso nichts mehr vor. Welcher Tag ist Heute? Oh stimmt,
es ist Freitagabend. An einem schönen Julitag.
Aus der Küche seiner kleinen
Privatpraxis höre ich Geschirr klappern. Der Duft von Marokkanische
Minze weht mir entgegen. Bei dieser Hitze ist mir nicht wirklich nach
heißem Tee, aber ich will ja nicht unhöflich wirken. Ich mache es
mir im Ledersessel ein wenig bequem, lockere mich, lockere mein Hemd,
welches vor lauter Schweiß an meinem Rücken klebt. Ohne ein
Tröpfchen Schweiß auf seiner Stirn, kehrt Doktor Aytekin zurück
auf seinen Platz. Er reicht mir eine Tasse Tee, ungesüßt, wie
immer.
„Herr Kuhl, die beste Medizin für
sie wäre, und das kann ich ihnen nur immer wieder sagen, suchen sie
sich ein süßes Mädchen, gehen sie mit ihr aus. Es ist Sommer, auch
ein einsamer Steppenwolf sollte doch da eine genau so einsame Wölfin
finden.“
Ich schaue Doktor Aytekin verdutzt an.
Ich tue so, als würde mich der Tee interessieren, als würde ich
gleich einen Schluck nehmen, und ihm dann antworten. Doch wieso
nicht? Ich werde genau so vorgehen! Es verschafft mir die Zeit, um
über seine Aussage nachzudenken.
„Nun, Doktor, ich dachte, dafür wäre
der Frühling gedacht?“
Wunderbar. Ein dümmerer Kommentar
konnte mir darauf nicht einfallen. Ich sehe ihn grinsen.
„Worauf ich eigentlich hinaus will,
Herr Kuhl, ich werde sie nicht medikamentös behandeln. Ihr Leiden
wird sich dadurch eher verstärken. Aber darüber werden wir in der
nächsten Sitzung ausführlicher sprechen. Doch beenden wir erst
einmal diese Sitzung mit unserem wöchentlichem Resümee. Was hat sie
Heute besonders geärgert, Herr Kuhl?“
Ich überlege kurz, nippe wieder an
meinem Tee, weiß aber längst, was ich sagen will.
„Eindeutig der Typ aus der Bahn. Der
den Hitlergruß gemacht hat.“
„Ok, und wieso erzürnt sie das so?
Sie brauchen sich davon doch gar nicht persönlich angegriffen
fühlen“, sagt er und richtet seine Brille dabei. Obwohl er den
heißen Tee durch seine Kehle gießt wie Wasser, scheint ihm einfach
nicht heiß zu werden. Ob das die Veranlagung macht, wenn man in
einem heißen Land aufgewachsen ist?
„Wissen sie, es liegt einfach daran,
ich verstehe es nicht. Er stand auf, hob seine Hand, und lallte einen
Hitlergruß runter. Alle Leute haben ihn schräg angeschaut. Als er
dann auch noch begann „Tage wie diese“ zu singen, da fiel ich in
ein tiefes Loch. Es war einfach furchtbar peinlich. Alleine sein
bloßes auftreten war provokant.“
Doktor Aytekin nickt, er sog die Wörter
von mir behutsam ein. Vermutlich wird er nun wieder irgendein
absurdes Fazit von sich geben.
„Herr Kuhl, sie machen sich da viel
zu viele Gedanken. Sie halten sich zu sehr mit anderen Leuten auf,
als sich viel mehr mal Gedanken über sich selbst zu machen. Das ist
etwas, woran wir auch in Zukunft arbeiten müssen. Ok, und, zum
Wochenabschluss, ihre Frage, die sie am meisten beschäftigt.“
Endlich kommt der Teil, auf den ich
mich am meisten freue. Mal sehen, was er darauf antworten wird.
„Meine Frage beschäftigt sich
diesmal mit moderner Popmusik. Wenn Xavier Naidoo am Abend auf dem
Sofa liegt, so zum entspannen und dabei Musik hört, glauben sie,
hört er wohl seine eigene Musik?“
Doktor Aytekin schaut mich fragend an.
„Erläutern sie das bitte.“
„Ich meine, hört er seine eigene
Musik? Wenn er sich seine alten Songs anhört, wird er sich doch
bestimmt denken: „Man, habe ich damals geile Musik gemacht“. Ich
frage mich das immer wieder.“
Oh nein, ich habe ihn verärgert, er
schüttelt mit dem Kopf.
„Herr Kuhl, sie sollen sich über
ernste Dinge Gedanken machen. Aber gut, darauf kann ich ihnen keine
Antwort geben. Eine letzte Frage, haben sie endlich mit dem
Steppenwolf begonnen? Hesse wird nicht jünger.“
Er nervt mich mit der Frage seit
Wochen. Besser, ich erfülle ihm den Wunsch.
„Ich wollte genau nach dieser Sitzung
zur Buchhandlung.“
„Sehr anständig, Herr Kuhl. Dann
beenden wir die Sitzung für Heute, und machen dann nächste Woche
weiter. Ich hoffe, sie werden sich dann mal etwas ernstere Gedanken
über unsere weiteren Planungen gemacht haben.“
Ich stehe auf und verabschiede mich
freundlich und wünsche Doktor Aytekin ein schönes Wochenende. Seit
2 Jahren befinde ich mich bei ihm in der Therapie. Diagnose:
Großstadt-Depressionen. Auch wenn er manchmal etwas sentimental
wird, könnte ich mir keinen besseren Psychologen vorstellen. Ich
fühle mich bereits wesentlich gelassener als noch im letzten Jahr.
Es ist ein angenehmes Gefühl. Und so trüb ich auch denken mag, der
Moment, aus der recht düster gehaltenen Praxis zu kommen, und
anschließend auf dem Dortmunder Westenhellweg zu stehen, an einem
warmen Juliabend, der ist unbezahlbar. Ich atme tief ein und schaue
mir meine Umgebung genau an. Der Himmel färbt sich allmählich
orange und die Sonne geht langsam unter. Es ist 19:30 und die meisten
haben gleich Feierabend und machen sich ausgehfertig. Und für die
meisten wird der Abend um 23 Uhr bereits ein Ende finden, wenn sie,
bereits alkoholisiert, nicht in den Club gelassen werden. Ich mache
mich auf zur Buchhandlung. Und Doktor Aytekin hatte unrecht bei der
letzten Sitzung. Das ist kein Wetter für Steppenwölfe, sondern
eindeutig Wetter für Verliebte. Da meine letzte (und vermutlich
einzige) Partnerschaft circa 10 Jahre in der Vergangenheit liegt,
kann ich natürlich nicht beurteilen, wie sich das Gefühl des
Verliebtseins in seinen Zwanzigern anfühlen mag.
Zielstrebig nähere ich mich der
Buchhandlung. Beängstigt von der eigenen Motivation, trete ich ein
und wandere in die Abteilung für Belletristik. Die Menschen um mich
herum kommen mir lediglich wie Pappaufsteller vor. Irgendwie
unheimlich.
Ich steuere auf das Regal zu, in dem
sich die Titel mit den Autoren befinden und deren Nachnamen mit H
beginnen. Hesse, Hermann. Und Jackpot. Der Steppenwolf. Gebundene
Ausgabe zum Sonderpreis. Bisher habe ich einen großen Bogen um
diesen Klassiker gemacht, aber Doktor Aytekin meint, die Geschichte
wäre bei meiner Art von Depressionen sehr interessant für mich. Ich
marschiere zur Kasse, bezahle das Buch, werde unfreundlich und
unpersönlich bedient, und verlasse die Buchhandlung.
Ich stehe am Platz von Netanya und
bekomme die Eingebung, dass ich noch gar nicht nach Hause will. Mir
ist nach einem Cocktail zumute. Ich muss lediglich meine Motivation
fragen, was sie davon hält. Doch darauf verzichte ich Heute einfach
mal, und genieße stattdessen meine schier unbändige Motivation. Ich
steuere auf die Jazzbar domicil zu. Habe beschlossen, mich dort
niederzulassen. Und je nachdem, was mein Portemonnaie hergibt, werde
ich den ein oder anderen Cocktail trinken.
Ein Raunen ertönt aus den
Räumlichkeiten, und das, obwohl ich immer noch vor der geschlossenen
Eingangstür stehe. Es scheint irgendein Event im Gange zu sein. Ich
trete ein, und liege richtig. Der große Bee Gees Karaoke Abend.
Hurra! Das darf ich mir nicht entgehen lassen. Ich brauche nur den
krummen und schiefen Stimmen zu folgen die mich in die erste Etage
weisen. Als ich mir einen Platz suche, fällt mir das angenehm
gedimmte Licht im Saal auf. Ich habe mich, mit breitem grinsen, für
einen der Plätze vor der Bühne entschieden. Da sitzt er nun, der
einsame Steppenwolf. Ein Steppenwolf, der belustigt werden will. Eine
charismatische, weibliche Bedienung gesellt sich prompt zu mir. Ich
bestelle einen Zombie. Obwohl der Saal beinahe komplett voll ist,
erhalte ich nach wenigen Minuten bereits meinen Cocktail. Während
alle gespannt auf den nächsten Sänger warten, genehmige ich mir
große Schlücke von meinem eisgekühlten Zombie. Nach circa fünf
Minuten betritt eine kleine Asiatin die Bühne. Sie ist so zierlich,
dass es den Anschein macht, niemand würde auf der Bühne stehen.
Dabei bedecken ihre langen Haaren auch noch ihr Gesicht. Schüchtern
blickt sie ins die Menge, mit besonderen Augenmerk auf einen Tisch,
an dem noch einige andere Asiaten sitzen. Diese lachen und amüsieren
sich. Vermutlich hat das arme Mädchen eine Wette verloren.
Plötzlich ertönt die Melodie von You
Win Again. Und das Drama beginnt. Mit schriller Stimme und in
schlechtem Englisch, fängt sie an zu singen.
I cudnt figer why, you cudnt gif me wat
evrybodie nieds, I shudnt let you kick me wen I'm daun, my Baybie.
Vielleicht ist es der Cocktail, oder
meine gute Laune, ich kann mich jedenfalls nicht mehr zurückhalten.
Ich lache. Tränen lache ich, während das Mädchen auf der Bühne
bald Tränen vor Scham weint. Mehrere Leute drehen sich zu mir um,
sehen, wie mir Tränen über die Wangen laufen. Ich lache ganz
eindeutig, und daran besteht kein Zweifel, jenes arme Mädchen auf
der Bühne aus. Oh! Und jetzt kommt auch noch der Refrain.
There no fait, you can't fait, this
bettle of lowe with me, you wien again, so little time we do nossing
but complete.
Als der Song endet, wird sie dennoch
unter tosendem Applaus verabschiedet. Und obwohl ich immer noch
lache, applaudiere ich mit. Ich denke, sie hat den kompletten Saal
sehr gut unterhalten. Außerdem war sie auch noch ganz hübsch
anzuschauen. Und trotz so viel Entertainment wünsche ich mir
allmählich, vielleicht nun einmal einen Auftritt zu sehen, der ein
wenig meine Ohren schont.
Während mein Cocktail immer mehr meine
Nerven und Synapsen betäubt, schaue ich gebannt zur Bühne. Obwohl
noch kein brauchbarer Karaoke-Teilnehmer bisher dabei war, ist die
Atmosphäre wirklich sehr angenehm. Plötzlich werden die Lichter
gedimmt. Warum denn das? Wenn es zu dunkel wird, bekomme ich doch
immer Beklemmungen! Vielleicht sollte ich gehen? Nein! Ich will
wissen, wer da nun kommt. Unter nicht vorhandenem Applaus betritt
eine hinreißende Frau die Bühne. Ein schlichtes weißes Top und
eine genau so schlichte Bluejeans. Ihre Brüste kommen verdammt gut
zur Geltung in dem Outfit. Ihre brünetten Haare reichen fast bis zu
ihren Hüften. Ausgerüstet ist sie mit einer schwarzen
Akustikgitarre. Ich bin hin und hergerissen. Und mit einem Instrument
hat sich auch noch niemand auf die Bühne gewagt. Die Stille im Saal
wiegt Tonnen. Langsam stimmt sie die Gitarre an. Ihr Blick absorbiert
alle Menschen in ihrer Umgebung. Dann lächelt sie. Ihre Augen
verspeisen mich. Noch erkenne ich den Song nicht, doch als sie
beginnt, zu singen, wird es mir langsam klar, es handelt sich um eine
Akustikversion von Nights on Broadway. Ihre Stimme ist der schiere
Wahnsinn. Kaum mit Worten zu erklären. Here we are, in a room full
of strangers. Der Text ist perfekt auf ihre Situation zugeschnitten.
Ich beginne zu schwitzen. Es ist mir unangenehm, aber ich nehme es
hin.
Ich scheine außerdem so benebelt von
dem Gesang zu sein, dass sich ein rauchiger Dunst vor meinem
Blickfeld bildet. Doch falsch gedacht. Es handelt sich nicht um einen
schönen Traum, es ist einfach Zigarettenqualm. Mein Blick wandert
überraschend nach Rechts. Meine Tischnachbarin bläst mir den Qualm
provokant entgegen. Und dennoch lächelt sie. Verkehrte Welt? Ich
komme nicht umhin, zu fragen, was das soll.
„Sonst geht’s dir noch gut, oder?“,
rutscht es mir etwas schroffer raus, als ich es eigentlich vorhatte.
„Mir geht’s sogar ausgezeichnet!
Ich setze mich zu dir, Ok?“
Ohne auf meine Antwort zu warten
schnappt sie sich ihren Stuhl und gesellt sich samt Drink und
Zigarette zu mir. Sie duftet gut. Kein Lucky Strike Duft. Meine Nase
nimmt tatsächlich einen sehr lieblichen Duft war. Sie muss ungefähr
in meinem Alter sein. Ihre Haare sind pechschwarz und Schulterlang.
Ihr blasses Gesicht ist hübsch anzuschauen. Sie trägt ein schwarzes
Top, und der Rest ihrer Haut ist mit einigen Tattoos versehen. Ich
komme nicht umhin, an Lisbeth Salander aus diesen Millennium Romanen
zu denken.
Mir ist ganz unbehaglich zumute. Was
will sie bloß von mir?
„Ok, sie ist grandios. Sie sieht
super aus und singt den Song fantastisch. Eine klasse Interpretation.
Gewöhne dich aber nicht am hohen Niveau. Ich habe den Typ hinter der
Bühne gesehen der gleich Tragedy singen wird. Ich hoffe, du hast
Oropax für uns beide dabei. Denn die Kopfstimme dieses langen
Vollidioten wird wohl unser Trommelfell zerschmettern.“
Sie kichert. Es klingt unglaublich süß.
Ich hingegen klammere mich an mein Glas fest und bringe kein einziges
Wort heraus. Ein Steppenwolf weiß mit solch einer Situation doch
nichts anzufangen. Vor Freude müsste ich eigentlich ein
melancholisches Ahuuuu ausstoßen (aber das würde wohl noch andere
einsame Wölfe anlocken), immerhin hat sich eine Frau freiwillig zu
mir gesetzt.
Sie ist nun wirklich keine Schönheit
im eigentlichem Sinne, aber an ihr haftet etwas besonderes. Und nun,
obwohl ich sie voll im Blickfeld habe, schmachtet sie mich auch noch
sehnsüchtig an. Sie scheint wohl keine Hemmungen zu haben.
„Tut mir ja echt leid, dich so zu
überrumpeln, aber du wirktest wie ein einsames Stachelschwein. Und
naja, ich bin..... ich bin auch ein Stachelschwein. Und wenn
Stachelschweine sich nicht zu sehr einander nähern, tun sie sich
auch nicht gegenseitig weh.“
Ich will sie heiraten. Noch mehr
Schweiß bricht aus. Jetzt wird sich zeigen, was ein 48 Stunden
Antitranspirant Deo so alles kann.
„Und außerdem.....“
„Ja?“
„Und außerdem, ich wollte solch
einen Moment immer mal erleben.“
„Was für einen Moment denn?“ frage
ich sie verdutzt.
„Ha, ich meine, eine Fremde Person in
der Bar ansprechen. Eigentlich ist das ja die Aufgabe des Mannes.
Aber du schaust so verängstigt, du machst eher den Eindruck, als
seist du bereits zu schüchtern, dir ein Getränk zu bestellen.“
Ich muss unweigerlich anfangen zu
lachen. Wovor hatte ich mich eigentlich gefürchtet?
„Sag, was möchtest du trinken? Du
bist eingeladen“.
Heilige Scheiße! Ich wachse ja noch
über mich hinaus.
2.
Gravitationslift
Sie hat mir ihren Namen verraten.
Agnieszka. Das sei polnisch und ich solle sie doch bitte Nikki
nennen. Das sei das japanische Worte für Tagebuch. Warum sie sich
allerdings so nennt, verriet sie mir nicht, sie grinste einfach nur.
Außerdem behielt sie recht was den
langen Vollidioten anging, der Tragedy gesungen hat. Ein furchtbarer
Auftritt. Die Stimme in Verbindung mit seinen grobmotorischen
Bewegungen wirkten ungemein komisch. Mittlerweile ist der
Karaoke-Abend jedoch beendet und es wird wieder normale Musik
gespielt. Im Augenblick säuselt All of my Love von Led Zeppelin aus
den Boxen.
„Du bekommst es vermutlich oft zu
hören, aber haben die alle eine Bedeutung, deine Tattoos?“
Sie überlegt kurz.
„Teilweise. Aber eigentlich lasse ich
mich tätowieren, weil ich einfach Bock darauf habe. Aber allmählich
reicht es auch mal.“
Sie stützt ihr Gesicht in ihre Hände,
sieht gedankenverloren aus.
„Und dann noch eine Frage. Warum ich?
Also ich würde einfach mal behaupten, eine langweiligere
Freitagabend-Gesellschaft als mich dürfte es nicht geben. Und ich
will mich hier echt nicht unter Wert verkaufen, ich staple hier sogar
noch ziemlich hoch.“
Jetzt wandert ihr Blick zu mir. Wieder
dieses Grinsen. Ich kann es nicht zuordnen.
„Wusstest du, dass es in Sydney einen
Gravitationslift geben soll? In weniger als 2 Minuten soll es möglich
sein, von der untersten Etage bis zum höchsten Stockwerk eines
riesigen Wolkenkratzers zu gelangen.“
Das war nicht unbedingt die Antwort auf
meine Frage. Wie kommt sie da bloß auf so etwas?
„Was soll denn bitteschön ein
Gravitationslift sein?“
„Frag mich was leichteres! Aber das
bedeutet doch, irgendwann, kurz bevor du das höchste Stockwerk
erreicht hast, wirst du einmal schwerelos sein. Ganz bestimmt.“
„Das ist doch ein Märchen, wo hast
du so etwas gehört?“
Ich sprach diese Worte aus, ohne
darüber nachzudenken, denn plötzlich wirkte ihr Gesichtsausdruck
ziemlich traurig.
„Eines der tollsten Gefühle,
abgesehen von Schokolade, Sex, trinken und Musik hören, dürfte doch
wohl die Schwerelosigkeit sein. Stell dir mal die Dortmunder Skyline
an einem schönen Sommerabend wie diesen vor. Du schwebst über die
Stadt, hast alles in deinem Blickfeld. Ein milder Wind weht dir
entgegen. Und du schwebst so wie es dir beliebt. Und diesen Moment
einmal auszukosten, auch wenn man in so einem Gravitationslift
steckt, der ist doch wohl einfach der absolute Hammer! Du hast ja
keine Phantasie! Wären mir Flügel gewachsen, dann wäre ich längst
durch die Lüfte geflogen und würde jeden Winter im Süden
verbringen.“
„Du würdest wirklich zurückkehren
wollen? Ehrlich gesagt, ich habe genug vom Stadtleben.“
Ich schaue in ihre Augen. Sie funkeln.
Sie ist in Gedanken versunken. In Gedanken vom Fliegen. Sie hat ihre
Umgebung komplett ausgeblendet. Obwohl wir uns vielleicht gerade mal
2 Stunden kennen, spüre ich eine Vertrautheit. Als ob ich lange nach
ihr gesucht hätte und umgekehrt. Und dann ist da noch diese
unendliche Sehnsucht in diesem Blick. Doch wonach sehnt sie sich nur?
Allein mit ihr hier zu sitzen stellt mich vor Rätseln.
Es geht auf die 23 Uhr zu. Ich hörte
die Bedienung zu einem Gast sagen, der Saal würde gleich schließen.
Ich stupse Nikki an, die mich verwirrt anschaut.
„Die machen hier oben gleich zu,
wollen wir gehen?“
„Oh, ja, natürlich. Lass uns raus
hier. Die Luft wird bestimmt nun sehr angenehm sein da draußen“,
flüstert sie sanft zu mir.
3.
Tonight, we are young. So let's set the
world on fire (Hast du auch eine Person, die du nach Hause bringen
kannst?)
Ich bezahle die Rechnung und wir
verlassen das domicil. Die Luft draußen hat sich ein wenig
abgekühlt, es ist aber immer noch unglaublich mild. Keiner von uns
hat anscheinend vor, Heim zu gehen (oder spricht diesen Gedanken in
irgendeiner Form aus). Ich spaziere mit einer für mich eigentlich
fremden Frau durch die Stadt.
Nikki fällt mit all den Tattoos auf.
Die Straßen der Dortmunder Innenstadt sind immer noch gut besucht,
immerhin beginnt nun die Zeit, in der das Nachtleben an diesem
Wochenende startet. Doch wir beide schlendern lediglich abwechselnd
den Osten- und Westenhellweg entlang. Reden über Gott und die Welt.
Wir scheinen ein kurioses Paar abzugeben. Ich sehe verschlafen und
desillusioniert aus, und sie könnte, bei ihrer kleinen Größe,
meine kleine Schwester sein. Vielleicht eine kleine Schwester von 16
Jahren, dafür mit etlichen Tattoos. Ja, ein sehr seltsames Paar. Als
wir am Platz von Leeds ankommen, bleibt Nikki stehen und muss
grinsen. Mit ihr stehen jedoch noch eine menge weiterer Leute an der
gleichen Stelle und klatschen in die Hände. Ein junger Sänger trägt
seine eigene Interpretation von We are young vor. Er hat eine tolle
Stimme, packt aber meiner Meinung zu viele Emotionen in den Song.
Doch wieso lacht sie? Ich komme nicht umhin, sie zu fragen.
„Was ist so spaßig? Er macht das
doch gar nicht schlecht“.
„Du hast schon recht. Aber hör dir
mal den Song an. Immer, wenn ich ihn höre, muss ich an so einen
kitschigen Coming of Age Film denken. Einer dieser Filme, wo die
Protagonisten sich am Ende noch einmal alle gemeinsam treffen und
über ihre gemeinsamen Zeiten aus der Vergangenheit nachdenken. Und
dabei wird dieser Song gespielt. Melancholisch und hoffnungsvoll
zugleich. Selbst der Bad Boy der Schule gehört plötzlich zu der
Clique und alle haben ihn gern. Und dann kommt der Abspann. Und dann
hat man doch irgendwie das Gefühl, man müsse gleich anfangen, zu
heulen.“
Mir fehlen die Worte. Warum bloß? Sie
bringt mich völlig in Verlegenheit.
„Also, laut dem Text des Songs
müssten wir nun folgendes tun. Die Bar hat geschlossen und ich fühle
mich etwas müde. Jetzt bräuchte ich nur noch jemanden, der mich
heim bringt.“
Ich kralle mich mit meinen Finger an
meiner Jeans fest. So etwas kann sie mich doch nicht fragen.
„Aber, meine Mitbewohnerin, ja, sie
studiert ebenfalls, hat ihre Tage und Männerbesuch ist absolut
Tabu.“
Puh! Noch einmal Glück gehabt.
„Daher würde ich einfach mal sagen,
es geht zu dir. Also, worauf warten wir?“
Ich glaube, ich werde nun auch noch
rot. Und ich sehe plötzlich, wie sich alle Leute zu mir umdrehen,
starren mich an und lachen mich aus. Weil sie meine Gedanken lesen
können und bemerken, wie ich vor Nervosität gerade zu einer
breiigen Masse zerfließe.
„Alles klar, auf zu mir! Wobei du
dich bestimmt ärgern wirst. In meiner Höhle wirst du dich bestimmt
langweilen.“
Sie kommentiert diesen Part nicht,
symbolisiert mir aber mit einem unglaublich charmantem Lächeln, dass
sie damit kein Problem hat.
Während wir mit der Bahn zu mir
fahren, unterhalten wir uns nicht. Ich bin immer noch nervös. Es ist
jedoch eine dieser angenehmen Nervositäten. Wenn ich in ihr Gesicht
schaue, scheint sie wieder in ihren Gedanken verloren zu sein.
Vermutlich fliegt sie gerade mit ihren Flügeln über ein imaginäres
Dortmund.
Nach nur 15 Minuten Bahnfahrt und einen
kurzen Fußweg kommen wir bei mir an. Zum Glück haben sich meine
Eltern entschieden, ohne mich an die Mosel zu fahren. Wir haben die
Wohnung für uns. Ich sage ihr, sie soll es sich im Wohnzimmer bequem
machen. Als ich im Bad bin, höre ich, wie der Fernseher vor sich hin
plärrt. Nun, schüchtern scheint sie nun wirklich nicht zu sein,
wenn sie bereits die Fernbedienung gefunden hat.
Ich stehe vor dem Spiegel und schaue
mich an. Erkenne mich selbst kaum. Weiß nicht, was sie an diesem
Gesicht anziehend finden könnte. Und schon wieder dieses seltsame
Gefühl. Weiblicher Besuch, in meinen Räumlichkeiten. Ihr Duft wird
sich allmählich immer mehr in der Wohnung ausbreiten. Als ich
zurückkomme, sehe ich, wie sie es sich auf dem großen Ledersofa
bequem gemacht hat. Ich geniere mich noch, doch sie signalisiert, ich
solle mich zu ihr setzen. Etwas schüchtern geselle ich mich zu ihr.
Die kleine Lampe beleuchtet das Wohnzimmer mit gedimmtem Licht.
Wortlos lehnt sie nach einer Zeit ihren Kopf an meine Schulter. Ich
verkrampfe etwas. Es muss Ewigkeiten her sein, wo sich ein solch
angenehmes Gefühl in meiner Magengegend ausbreitete. Es ist ein
echtes kribbeln in meinem Bauch. Ich spüre jeden Atemzug von ihr.
Wie gerne würde ich sie nun berühren.
Im Fernsehen läuft irgendein Pay-TV
Musiksender. Der Sound ist sehr leise eingestellt, ich kann den Song
nicht identifizieren, der dort gerade gespielt wird.
„Oh man, ich bin ja so eine
Heulsuse“, gibt sie plötzlich von sich. In ihrer Stimme liegt
tatsächlich ein gewisses Beben. Und da überkommt es mich, ich lege,
wie ein junge bei seinem ersten Date, meinen Arm um sie. Ihr scheint
es nichts auszumachen.
„Schau doch mal! Panorama-Aufnahmen
von New York. Dazu läuft irgendeine gefühlsduselige Musik, darunter
der Wetterbericht und die aktuellen Börsenkurse. Ich werde so
traurig, wenn ich das sehe. Man kann in der Ferne sogar ein Feuerwerk
sehen. Es läuft einfach Musik, und dazu werden diese
Panorama-Aufnahmen aus der Luft gezeigt. Absolut schwerelos. Bekommst
du da nicht auch Fernweh?“
Ich sollte das Thema wechseln. Doch
wie? Eine ihrer Tätowierungen scheint mir jedoch den Weg zu weisen.
An ihrem Schlüsselbein entdecke ich nämlich einen Schriftzug. Mein
Griff um sie wird etwas fester, selbstsicherer.
„Was steht denn da? Wenn ich fragen
darf“, und deute mit meinen Finger auf ihr Schlüsselbein. Sie
nimmt meinen Zeigefinger, und führt ihn auf ihre Haut.
„Das da meinst du?“
Ich schlucke.
„Ja.“
Sie zieht ihr Top aus. Nun sitzt sie
nur noch in BH und Jeans vor mir. Nun kann ich den Schriftzug aber
perfekt erkennen.
Man muss das Unmögliche Versuchen, um
das Mögliche zu erreichen.
„Hast du dir das ausgedacht“, frage
ich naiv.
„Nein du Dummerchen. Das ist von
Hesse“.
Schon wieder Hesse. Er verfolgt mich.
„Und, glaubst du dran? Finde ich ein
bisschen zu optimistisch.“
„Nun, Heute Abend funktionierte er
bereits ganz gut.“
„Wie kommst du darauf?“
„Na! Unser Date gleicht doch wohl
einem perfekten Hollywood-Szenario. Für viele unmöglich so etwas zu
erreichen. Doch ich ergriff die Initiative und habe dich
angesprochen.“
Sie fängt an, süß zu lachen. Ihr
trüber Blick ist fort.
„Und glaubst du, dieser Spruch wird
dir auch bei deinen Flugversuchen helfen?“
„Ich sollte es bald mal
ausprobieren“, grinst sie.
Dann küsst sie mich. Ganz ohne
Vorwarnung. Und ich lasse es einfach geschehen. Im Fernsehen läuft
weiter der Musiksender der endlos viele Aufnahmen vom nächtlichen
New York zeigt, und dabei sentimentale Musik spielt. Ja, auch wenn es
sich hier nur um ein Szenario eines Filmfreaks handelt, ich bin
glücklich. Ich schwebe. Bin schwerelos. Sitze im Gravitationslift
und genieße die Fahrt.
Am nächsten Morgen hat mich Nikki
recht früh verlassen. Ein Wiedersehen wäre möglich, sagte sie.
Aber auch das müsse dem Zufall überlassen werden. Ich sollte mich
jedoch des öfteren an Freitagen und Samstagen im domicil aufhalten.
Wäre ich nicht am nächsten Morgen
neben ihr aufgewacht, hätte ich zwischen Realität und Traum nicht
mehr unterscheiden können. Doch Agnieszka ist echt. Alles in dieser
wundervollen Nacht war echt. Und vielleicht ist es ja gar nicht so
übel, sich nie wiederzusehen. Auch wenn die Sehnsucht bereits jetzt,
zwei tage später, ziemlich groß ist.
4.
Steppenwölfe sind einsam (Final Mix.
Extended Edition)
Zwei Wochen später
Ich sitze in Doktor Aytekins Praxis. Es
kommt mir vor, als würde es heiß, und immer heißer von den
Temperaturen her werden. Und er schwitzt immer noch nicht. Erneut
trinken wir unseren heißen Tee. Mitten im Sommer. Und wieder einmal
vergießt er keine Schweißperle.
„Jedenfalls, Herr Kuhl, es freut
mich, sie so entspannt zu sehen. Sie wirken wesentlich
ausgeglichener. Ist denn wirklich nichts positives vorgefallen in
letzter Zeit?“
Ich habe Doktor Aytekin nichts von
Nikki, nichts von diesem Freitagabend von vor zwei Wochen erzählt.
„Nein, Herr Doktor.“
Vielleicht verrät mich das Funkeln in
meinen Augen. Er sagt jedoch nichts weiter.
„Und, haben sie den Steppenwolf
bereits ausgelesen?“
„Japp, ein grandioser Klassiker“,
lüge ich. Ich bin bisher noch nicht einmal über die ersten fünf
Seiten gekommen. Dennoch macht er ein ernstes Gesicht.
„Was bedrückt sie, Dok? Es muss doch
nervig sein, sich immer die Geschichten fremder Menschen anzuhören.“
Doktor Aytekin lächelt.
„Ich dürfte ihnen das gar nicht
erzählen, Herr Kuhl. Aber eine junge Frau ist Gestern vom Dortmunder
Fernsehturm gesprungen. Und sie war ausgerechnet auch noch die
Patientin eines guten Kollegen. So etwas nimmt mich ziemlich mit. Und
das sind auch ganz und gar keine Geschichten, die sie hören sollten,
wobei es mich wunder, dass sie davon noch nichts mitbekommen haben.“
Da überrollt mich mit voller Wucht ein
tonnenschwerer LKW. Mir wird schlecht. Traue mich nicht, weiter ins
Detail zu gehen, und mehr zu fragen. Solch einen Zufall kann es nicht
geben.
„Steht das in irgendeiner
Tageszeitung?“
Er reicht mir wortlos die aktuelle
Ausgabe der Ruhr Nachrichten. Auf Seite zwei befindet sich im
regionalen Teil ein großer Artikel über eine junge Frau, die
Selbstmord begangen hat. Das mysteriöse an der Geschichte ist, auf
der Plattform des Dortmunder Fernsehturms fand ein Besucher eine
Mappe. Und in dieser Mappe soll sich ein Drehbuch zu einem Film
befunden haben. Weitere Details stehen dort nicht, aber es soll
anscheinend der Frau gehört haben. An dieser Stelle lege ich die
Zeitung aus der Hand. Ein Schauder breitet sich über meinen gesamten
Körper aus. Mir wird so kalt, als hätte jemand die Klimaanlage auf
die höchste Stufe gestellt. Es fröstelt mich. Und das einzige,
woran ich denken kann, ist, die Praxis von Doktor Aytekin zu
verlassen. Schnell richte ich mich auf.
„Verzeihen sie Herr Doktor. Aber im
Drehbuch steht, dass ich nun schockiert ihre Praxis verlassen muss.“
Ohne das Doktor Aytekin die Situation
auch nur irgendwie zuordnen kann, bin ich aus seiner Praxis gestürmt.
Wie vor zwei Wochen marschiere ich
planlos den Osten- und Westenhellweg entlang. Ja, ich beruhige mich
wieder. Kann meine Gedanken nun etwas besser ordnen. Und, ja, es
besteht die Möglichkeit, dass es sich um eine ganz andere Person
handelt. Im Artikel war kein Name vermerkt. Wiederrum, ich habe ihn
auch nicht ganz gelesen. Würde ich mich trauen, ihn komplett zu
lesen? Niemals! Nach einer Zeit beschließe ich, das domicil zu
besuchen. Wir haben zwar wieder Freitag, einen Themenabend gibt es am
heutigen Abend jedoch nicht. Ich versuche dennoch den Abend von
letztens so gut es geht zu wiederholen. Ich sitze wieder auf dem
gleichen Platz und bestelle mir einen Zombie. Austauschbare Jazzmusik
wird gespielt. Die Zeit vergeht und ich bin und bleibe allein. 23
Uhr. Der Saal in der ersten Etage wird nun geschlossen. Die Lichter
gehen an. Und plötzlich fühle ich eine warme Hand auf meiner
Schulter, die sich an mein verschwitztes Shirt krallt. Schnell drehe
ich mich um.
„Verdammt! Jage mir nie wieder so
einen Schrecken ein“, sage ich viel zu laut und spreche ins Leere.
Die Leute schauen mich an.
Auf meinem Heimweg realisiere ich es
allerdings. Ich werde Nikki nicht wiedersehen. Und egal, ob sie nun
die junge Frau ist, von der Doktor Aytekin gesprochen und die Ruhr
Nachrichten berichtet hat, oder nicht, ich werde sie nie wiedersehen.
Denn sie ist fort geflogen. Streckte ihre großen Weißen Flügen aus
und flog einfach, ohne mir Bescheid zu geben, fort. Ich glaube, ich
verstehe nun, was Nikki empfand, als sie die Bilder im Fernsehen sah.
Und obwohl ich mich zurückhalten kann, fällt es mir schwer, die
Tränen zu unterdrücken.
Man muss das Unmögliche Versuchen, um
das Mögliche zu erreichen.
Sehr wahrscheinlich, dass sie gerade
mit Hesse einige Cocktails an einem exotischen Strand von Hawai
trinkt. Danke, Nikki, dass ich ein Protagonist in deinem Drehbuch
sein durfte. Ich hoffe, deine Geschichte hat ein Happy End gefunden.
Ich steige aus der Bahn. Ich friere
immer noch. Heute ist mal wieder Steppenwolf-Wetter. Und wenn ich nur
genau hinhöre, höre ich sie heulen. Sie sind meine Weggefährten.
Meine genau so einsamen Weggefährten, denen ich vermutlich niemals
begegnen werde.
Ende
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen